Der Einzug neuer Technologien im Gesundheitswesen wirft automatisch wohl immer die Frage auf, wozu es diese benötigt und welcher Nutzen sich durch diese ergibt. Künstliche Intelligenz stellt hierbei keine Ausnahme dar, scheiden sich die Geister hinsichtlich dieser gar noch einmal mehr.
Das Gesundheitswesen wird durch eine immer höhere Lebenserwartung, einer relativ niedrigen Geburtenrate und dem damit verbundenen Anstieg der Behandlungsfälle förmlich dazu gezwungen, neue Wege und Lösungen zur Steigerung der Effizienz und allen voran zur Aufrechterhaltung sowie Verbesserung der Versorgungsqualität zu finden. Die dabei anfallenden und steigenden Kosten für die Behandlung, die Versorgung und die Pflege der Menschen dürfen dabei nicht außer Acht gelassen werden, genauso wenig wie der steigende Bedarf an Personal und Betten. Entsprechend wird das Gesundheitswesen im Moment und in den kommenden Jahren vor die Herausforderung gestellt, einen Spagat zwischen einer angemessenen Versorgungsqualität und einer immer höheren Belastung zu bewerkstelligen. Dazu benötigt es nicht nur höchste Leistungsbereitschaft des gesamten Personals im klinischen Bereich, sondern genauso den gezielten Einsatz neuer Technologie und Technik.
Der Nutzen künstlicher Intelligenz für das Tätigkeitsfeld eines Arztes
Der Nutzen künstlicher Intelligenz für das Tätigkeitsfeld eines Arztes ergibt sich im Gesundheitswesen – wie auch in anderen Bereichen – allen voran erst einmal aus einer Ersparnis zeitlicher Ressourcen. Demzufolge kann künstliche Intelligenz bereits heute bei vielen Aufgaben, welche zur täglichen Routine eines Arztes gehören, mitwirken. Beispielsweise nimmt der Algorithmus künstlicher Intelligenz bei der Interpretation von Röntgenbildern eine Kategorisierung der verschiedenen Aufnahmen nach der Dringlichkeit der
Befundung vor, was dem Arzt ermöglicht, sich verstärkt und schneller dringlichen sowie gar kritischen Befunden widmen zu können. Anhand der von den Algorithmen getroffenen Vorauswahl können die Ärzte folglich abschätzen, welche Befunde es zu priorisieren gilt. Eine Computersimulation hat ermittelt, dass ein Mensch allein rund elf Tage benötigen würde, ehe er einen kritischen Befund als solchen erkennt und meldet, während ein Algorithmus mit künstlicher Intelligenz dies bereits in etwas weniger als drei Tagen schafft. [1]
Eine derartige zeitliche Ersparnis sollen auch Anwendungen wie Apps für das Smartphone erzielen, welche mithilfe eines Algorithmus das Patientengespräch – die Anamnese – mit dem Anwender und somit mit dem Patienten führt. Ziel ist die „Selbstdiagnose“ des Patienten, welche im besten Falle – bei kleineren Beschwerden wie einer Erkältung – einerseits dem Patient den Weg zu einem Arzt ersparen und andererseits dem Arzt mehr Zeit für größere und akute Beschwerden bzw. Erkrankungen freiräumen soll. Dabei haben diese Anwendungen den Vorteil, dass sie rund um die Uhr erreichbar sowie gleichermaßen freundlich sind, den verschiedenen Anwendern beliebig viel Zeit widmen können und sich die Kosten für sie relativ gering halten, im Vergleich zu einer Behandlung in einem Krankenhaus oder einer niedergelassenen Arztpraxis.
Im Zuge der Auswahl der passenden Behandlungsmethode können Algorithmen künstlicher Intelligenz ebenso Hilfestellung leisten und zu einer wesentlichen Steigerung der Effizienz im Gesundheitswesen beitragen. Entsprechend lassen sich mit den Algorithmen Behandlungsergebnisse voraussagen, sodass anhand der verschiedenen Ergebnisse abgewogen werden kann, welche Behandlung am ehesten Sinn macht und in welchem Umfang diese zu erfolgen hat. Allerdings so schön die zeitliche Ersparnis in diesem Fall auch sein mag, muss bedacht werden, dass nicht bei jedem Menschen die jeweilige Behandlungsart auf gleiche Art und Weise anschlägt. Der Erfolg einer Behandlung hängt nicht immer nur von theoretischen Fakten, sondern vielmehr vom einzelnen Menschen selbst ab.
Wird der Einsatz künstlicher Intelligenz einmal fernab bekannter Standards – hierzulande – betrachtet, lässt sich relativ schnell ein weiterer Nutzen der Anwendung dieser hinsichtlich des Gesundheitssystems in Bezug auf Entwicklungsländer feststellen. Folglich ist das Expertenwissen auf der Welt ungleich verteilt und in Entwicklungsländern ist es nach wie vor oft der Fall, dass es an Fachärzten mangelt und es den Menschen schlichtweg nicht bzw. nur sehr schwer möglich ist, die wenigen Fachärzte, die es vor Ort gibt, überhaupt zu erreichen. Die knappen finanziellen Mittel spielen dabei eine entscheidende Rolle. Dahingehend geht die Forschung in die Richtung, sogenannte „Symptom-Checker“ zu entwickeln, welche die Versorgung im öffentlichen Bereich steuern bzw. zumindest teilweise mitsteuern sollen. [2]
Die Anwendungen künstlicher Intelligenz können dem Arzt auch immer eine zweite Meinung liefern, eine sogenannte „automatisierte Zweitmeinung“. Gerade bei komplizierten Krankheitsbildern ergibt dies oft Sinn und spart im gleichen Moment erneut wichtige Zeit ein. Während der Algorithmus vor Ort innerhalb kürzester Zeit einen Befund abgeben kann, müsste sich ein Kollege derselben oder gar einer anderen Einrichtung erst einmal mit dem jeweiligen Krankheitsbild vertraut machen, ehe er sein Urteil bilden kann. Die Zweitmeinung künstlicher Intelligenz darf allerdings nie Einfluss auf die Meinung des Arztes nehmen. Der Arzt ist dafür verantwortlich und muss darauf achten, dass seine Meinung unabhängig und unbeeinflusst bleibt. [3]
Dies sollten lediglich einmal Beispiele für den Nutzen künstlicher Intelligenz bezogen auf das Tätigkeitsfeld eines Arztes darstellen. Letztlich gehört es heute zu der Sorgfaltspflicht eines Arztes, künstliche Intelligenz genau dann anzuwenden, wenn der Nutzen dieser bereits eindeutig nachgewiesen ist. [4] Es wäre in solchen Fällen fatal auf den Einsatz künstlicher Intelligenz zu verzichten. Dabei spielen die Beweggründe des Arztes, auf die Technologie verzichten zu wollen, keine Rolle. In der Folge wird der Einsatz moderner Behandlungsmethoden stets verlangt und gar vorgeschrieben, welcher sich am neusten Stand der Wissenschaft orientiert.
Quellenangaben
[1] Vgl. Meyer, R.: Künstliche Intelligenz – Computersoftware hilft, Röntgenthoraxbilder rascher zu kategorisieren. In: Deutsches Ärzteblatt 12/2019, 22.März 2019, Seite A584.[2] Vgl. Thielscher, C. und Antes, G.: Der Arzt behält die Deutungshoheit trotz KI. In: Deutsches Ärzteblatt 01-02/2019, 7.Januar 2019, Seite A18f.
[3] Vgl. Golder, W.: Radiomics – Die neue Verantwortung des Radiologen. In: Deutsches Ärzteblatt 09/2019, 1.März 2019, Seite A415.
[4] Vgl. Ebd.
Bild: https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2018/09/walter-karlen-kuenstliche-intelligenz.html